Abfalle werden von den Menschen immer erst dann wahrgenommen, wenn Ruckwirkungen auf den Alltag sichtbar werden oder gar ein Ersticken in den Abfallen droht.
In der Wiederaufbauphase nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Schutt der zerstorten Stad – te einfach auBerhalb der Stadte abgeladen. Ebenso wurde mit den Abfallen des wieder in Gang gekommenen gesellschaftlichen Lebens und selbst mit industriellen Abfallen verfahren. So entstanden riesige Mullberge, die spater begrunt und mit Baumen bepflanzt, mit Kinder – spiel – und Grillplatzen ausgestattet als Naherholungsgebiete der Offentlichkeit zur Verfugung gestellt wurden. Dann stellten sich Ruckwirkungen ein. Durch Sickerwasser wurden das Grundwasser und damit das Trinkwasser verunreinigt. Dann wurde die Begrunung sichtbar fahl. Ursache waren entweichende Dampfe und oberflachig austretende Flussigkeiten. Die so geschaffenen Landschaftsraume mussten fur die Offentlichkeit wegen nicht auszuschlieBen – der Gefahrdung wieder gesperrt werden. Ohne nachzudenken hatte man mit den Ablagerun – gen komplexe Bioreaktoren, Biotope fur anaerobe Mikroorganismen geschaffen, die Biogas (Methan und Kohlendioxid) und sonstige Stoffwechselprodukte produzieren. Diese Erfah – rungen fuhrten hin zu geordneten Deponien mit Bodenabdichtung und Entgasungssystemen. Das mit den Entgasungssystemen gesammelte Biogas wird heute mit Blockheizkraftwerken genutzt. SchlieBlich wurden Deponien geachtet und durch Mullverbrennungsanlagen, Kom – postierungsanlagen und Bioreaktoren ersetzt. Auch diese technologischen Entwicklungen hatten massive Burgerproteste zur Folge. Erst durch Einfuhrung von effektiven Rauchgasrei – nigungs – und Ruckhaltesystemen konnte eine weitgehende Akzeptanz in der Bevolkerung erreicht werden.
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Das geschilderte menschliche Verhalten im Umgang mit Mull ist auch im nuklearen Bereich zu beobachten. Neue Technologien werden erst einmal geschaffen und spater wird dann auch uber die Beseitigung der produzierten Abfalle nachgedacht (Bild 6.1). Dieses Verhalten ist darwinistisch und damit naturlich. Menschen verhalten sich darwinistisch.
Bild 6.1 Abfalle durch Produktion, Konsum und menschliches Leben selbst
J. Unger, A. Hurtado, Energie, Okologie und Unvernunft,
DOI 10.1007/978-3-658-01503-9_6, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013
Wie in der Natur sich eine neu aufgekommene Art moglichst extrem ohne Rucksicht auf das spatere Wohl und die Folgen der dabei produzierten Abfalle vermehren muss, um nicht von den schon vorhandenen Arten bereits im Entstehungsprozess wieder verdrangt zu werden, verhalten sich die Menschen auch bei der Installierung neuer Technologies Uberlegungen zur Losung des Abfallproblems, das mit dem zugehorigen Veredelungs-/Entedelungsprozess (Abschn. 2.3, Bild 2.6) verknupft ist, sind zunachst zweitrangig.
Dieses allzu menschliche darwinistische Verhalten gilt auch fur radioaktive Abfalle aus
• Kernkraftwerken,
• der Medizin,
• der Forschung,
• und der Industrie
die in Deutschland immer noch zwischengelagert werden, da noch keine Endlagerstatten zur Verfugung stehen. Insbesondere die hochradioaktiven Abfalle aus Kernkraftwerken werden in der Diskussion um die Sinnhaftigkeit der Kernenergie von Kernkraftgegnern ins Feld ge – fuhrt, um die Akzeptanz in der Bevolkerung emotional zu unterminieren. Da die angefallenen Mengen an hochstradioaktiven Abfallen aus den Kernkraftwerken (abgebrannte Brennele – mente) uberschaubar sind, bleibt genugend Zeit fur die Erkundung geeigneter Endlagerstat – ten.
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Fur ein Kernkraftwerk mit Druckwasserreaktor wird bei einer elektrischen Leistung von 1300 MW jahrlich etwa eine Masse von 34 t angereichertes Uran als Brennstoff [15] benotigt. Bei einer mittleren Dichte des Brennstoffs von 10.000 kg/m3 entspricht dies einem Volumen von 3,4 m3, das anschaulich durch einen Wurfel mit der Kantenlange von 1,5 m dargestellt werden kann (Bild 6.2).
Dieses hochradioaktive Gesamtinventar in den abgebrannten Brennelementen enthalt neben noch spaltbaren Stoffen eine ganze Familie instabiler Isotope, die im Prozess der Kernspal – tung neu entstanden sind. Diese instabilen Isotope wandeln sich im Laufe der Zeit uber Zer – fallsketten hin zu stabilen Isotopen. Solange dieser nukleare Umwandlungsprozess ablauft, wird permanent radioaktive Strahlung emittiert und Warme produziert. Die Strahlung und die damit verknupfte Warmeentwicklung verschwinden erst, wenn alle Isotope einen stabilen Endzustand erreicht haben.
Anders als ubliche kommunale und industrielle Abfalle produzieren nukleare Abfalle radio – aktive Strahlung und Warme. Die dem Reaktor entnommenen abgebrannten Brennelemente, die durch frische Brennelemente zum Weiterbetrieb des Reaktors ersetzt werden, entwickeln zur Zeit der Entnahme aus dem Reaktor noch eine beachtliche Warmeleistung. Diese Nach – zerfallswarme muss permanent abgefuhrt werden. Ein langerfristiger Ausfall der erforderli – chen Nachwarmeabfuhr wurde die dem Reaktor entnommenen abgebrannten Brennelemente zum Schmelzen bringen.
Als Mab fur das Abklingverhalten der Radioaktivitat und der damit verknupften Entwicklung der Nachzerfallswarme wird die Halbwertszeit verwendet, bei der die Aktivitat auf die Halfte des Anfangswerts nach Beendigung der Kettenreaktion und der Entnahme der Brennelemente aus dem Reaktor abgefallen ist. Wenn auch die Radioaktivitat und damit auch die Nachzerfallswarme aller Isotope mit der Zeit ohne jede Mabnahme vollstandig verschwindet, sind insbesondere die sehr groben Halbwertzeiten der Isotope mit sehr geringer Aktivitat ein – schlieblich der fur die langlebigen Anteile an Uran und des bei der Kernspaltung entstande – nen Plutoniums ein Hauptargument gegen den Einsatz der Kerntechnik, das auch von nicht ideologisch gepragten Kernkraftgegnern geteilt wird.
In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass bei hochgiftigen chemischen Abfallen, deren Toxizitat nie abklingt, sondern unendlich lange erhalten bleibt, das “Ewigkeitsproblem“ nicht als Argument gegen die Nutzung der Chemie ins Feld gefuhrt wird, obwohl auch hier somatische und genetische Gefahrdungspotenziale vorliegen.
Die beim Ersteinsatz eines Uranbrennelements (3,5 % spaltbares Uran 235, 96 % Uran 238) im Reaktor entstandenen Isotope lassen sich hinsichtlich der Strahlungsintensitat und des zeitlichen Abklingverhaltens grob in drei Gruppen einteilen [15]:
• Isotope mit hoher Aktivitat und Halbwertszeiten von bis zu etwa 30 Jahren, die im Storfall mit einer Kontamination der Umgebung des Kraftwerks von Bedeutung sind
• noch spaltbare Stoffe (noch nicht verbrauchtes Uran und bei der Kernspaltung entstande – nes Plutonium), die noch energetisch genutzt werden konnen
• Restisotope mit einem geringen Massenanteil, mit niedrigen Aktivitaten und extrem gro – ben Halbwertszeiten, die bei der Endlagerung von Bedeutung sind
Die Radiotoxizitat R der in den abgebrannten Brennelementen enthaltenem hochradioaktiven Stoffe im Verhaltnis zu der naturlichen Radiotoxizitat RNatur des in der Natur vorkommenden Uranerzes ist in Bild 6.3 dargestellt.
Bild 6.3 Abklingverhalten der hochradioaktiven Abfalle aus Kernkraftwerken im Vergleich mit der naturlichen Radioaktivitat von naturlichen Lagerstatten zum Uranerzabbau |
Im Vergleich mit der radioaktiven Aktivitat einer naturlichen Lagerstatte (Natururan) als sinnvolle Referenzbasis zeigt sich, dass ohne Mahnahmen zur Reduzierung des Abkling- verhaltens der hochradioaktiven Reaktorabfalle erst nach einer Zeit von uber einer Million Jahre die von diesen Abfallen ausgehende radiologische Belastung auf das Niveau der naturlichen Referenzlagerstatte abfallt (Bild 6.3).
Auch die weniger radioaktiven Abfalle aus Kernkraftwerken und die bei industriellen, ge – werblichen und medizinischen Anwendungen der Kerntechnik entstehenden Abfalle mussen entsorgt werden. Da diese aber keine nennenswerte Nachzerfallswarme liefern, lassen sich diese leichter handhaben und stehen nicht im Brennpunkt des offentlichen Interesses wie die warmeproduzierenden hochradioaktiven Abfalle. Im Rahmen der hier gefuhrten Diskussion um die Nutzung und Entsorgung der Kernenergie zur Produktion von Strom und Prozess – warme wird die Entsorgung dieser schwacher radioaktiven Abfalle hier nicht weiter verfolgt.