Die Reaktion der Politik auf die Antiatomkraftbewegung

Ergebnis der erfolgreichen Energiepolitik von CDU und FDP im Nachkriegsdeutschland war die erreichte Ausgewogenheit der Energiestrukturen. Die Bedrohung der deutschen Wirt – schaft durch die OPEC (Olkrisen: 1973, 1979) war durch den Aufbau der Kernenergie einge – dammt. 1997 wurden 36 % des gesamten Stroms mit Kernenergie, 27 % aus Braunkohle, 25 % aus Steinkohle und nur 7,5 % aus Erdgas – und Ol erzeugt. Der Rest von 4,5 % wurde mit regenerativen Kraftwerken (Wasserkraft, Biomasse, Abfall) gewonnen. Zusammen mit der heimischen Kohle sollte die Kernenergie eine sichere Stromversorgung gewahrleisten.

2. Olkrise Weltwirt-

(1979) -► schaftskrise

1980/82

Three Mile Island

Подпись: Tschernobyl (1986) (1979)

1. Olkrise
(1973)

(1961)

____ 1___________________ .

(1989)

1

CDU/ FDP CDU / FPD

SPD / FDP

CDU/FDP

19

Antiatomkraftbewegung

75 L

Grune

VAK

Weltwirt-

schaftskrise

1974/75

Startbahn West (1981) Flughafen Rhein-Main

GKN 2

Freiburger

Programm

(1971)

Bruch der sozial-liberalen Koalition (1982)

fortschreitende Umweltzerstorung, Industrialisierung der Landwirtschaft,…

Bild 2.2 Regierende Parteien im Zeitfenster der in Deutschland aufgebauten Kerntechnik und der sich bildenden Antiatomkraftbewegung

Diese Energiepolitik mit der Kerntechnik als eine der tragenden Saulen in der Stromversor­gung wurde von den folgenden SPD/FDP Koalitionen mit den Kanzlern Willy Brandt und

Helmut Schmidt konsequent fortgesetzt. In der Amtszeit von Helmut Schmidt begann dann die Antiatomkraftbewegung (Bild 2.1, Bild 2.2), die mit dem weltweit ersten Reaktorunfall im Jahr 1979 in den USA (Three Mile Island) weiter eskalierte.

Die seit Ludwig Ehrhard gelebte erfolgreiche soziale Marktwirtschaft, die auch in den sozial- liberalen Koalitionen unter Brandt und Schmidt fortgesetzt wurde und Hand in Hand mit der liberalen Forderung nach Chancengleichheit fur eine Teilhabe aller am gesellschaftlichen Wohlstand sorgte, wurde durch die am Ende der 70er Jahre nachlassende Konjunktur und das Wiederaufleben schon uberwunden geglaubter Verteilungskampfe gefahrdet, die letztlich auch mit der Verfugbarkeit von Energie verknupft waren. Die FDP wollte die okonomische Krise vor allem durch Einsparungen im Sozialbereich und die SPD diese durch Beschafti – gungsprogramme bewaltigen. In der FDP setzte sich der wirtschaftsliberale Flugel gegenuber dem sozialliberalen durch. Durch Uberlaufen der FDP unter Genscher zur CDU unter Kohl kam es somit 1982 zum Bruch der sozialliberalen Koalition (Bild 2.2) nach einer uber zehn – jahrigen erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen SPD und FDP.

Mit diesem Bruch, der zugleich auch als Verrat an der liberalen Grundidee schlechthin und auch als ein Verrat an den Schwachen der Gesellschaft zu bewerten ist, hatte diese dann ge – sellschaftlich verarmte FDP, die sich allein auf die durch neoliberale Leitlinien wie der Ver – billigung des Faktors Arbeit und investitionsfordernde Steuerentlastungen reduzierte, den sozialen Frieden in Deutschland aufgekundigt.

Zuvor war es auch schon zum okologischen Verrat am eigenen Programm (Freiburger The- sen, 1971, Bild 2.2) gekommen. Mit dem Freiburger Programm von 1971 hatte die FDP als erste deutsche Partei in einer dem echten Liberalismus gebuhrenden Forderung zum Umwelt – schutz geradezu ein Alleinstellungsmerkmal erreicht. Die geistigen Vater Werner Maihofer und Karl-Hermann Flach dieses Programms mit den Hauptsatzen

• Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und personlichem Nutzen

• Umweltschadigung ist kriminelles Unrecht

• Jeder hat ein Recht auf eine menschenwurdige Umwelt

sind heute innerhalb der Partei weniger bekannt als auherhalb der FDP.

Mit dem Festhalten an diesen Thesen und einem nicht verlorenen sozialen Gewissen hatte die FDP okologisch orientierte Gruppen an sich binden, eine fuhrende Rolle in der okologischen Bewegung ubernehmen konnen. Mit der Streichung der Okologie im politischen Programm wurde insbesondere die Entstehung der Grunen begunstigt.

Grunde fur das Ausscheren der FDP aus der zum Wohl aller gesellschaftlichen Schichten des deutschen Volkes regierenden sozialliberalen Koalition waren die okonomischen Probleme der Weltwirtschaftskrisen 1974/75 und 1980/82, die eng gekoppelt an die durch die OPEC erzeugten Olkrisen (Bild 2.2) und das damit verknupfte Ansteigen der Zahl der Arbeitslosen in Erscheinung traten. Mit diesen okonomischen Krisen, die ohne den Bau der Kernkraftwer – ke in Deutschland noch gravierender ausgefallen waren, kam der von den sozialliberalen Regierungen unter den Kanzlern Brandt und Schmidt SPD etablierte Sozialstaat in die Krise, da die zu grohzugig ausgebauten sozialen Netze nicht mehr finanzierbar waren. Auf eine erforderliche aber dennoch sich am Gemeinwohl orientierende Reduzierung des Sozialstaats konnten sich SPD und FDP nicht einigen. Anstelle des dem Gemeinwohl verpflichteten Libe – ralismus setzten sich in dieser Situation bei der FDP die neoliberalen Vorstellungen durch. Die Nachwirkungen in Form von Sozialabbau sind in allen nachfolgenden Regierungen unter Kohl, Schroder und Merkel zu finden.

Obwohl die sozialliberale Koalition bereits 1977 eine Reduzierung auf die Halfte des ur- sprunglich geplanten Baus von Kernkraftwerken angekundigt und die energetische Fortent – wicklung von Mabnahmen zur effizienteren Nutzung der Energie und die Entwicklung von nicht-nuklearen Energietechniken eingeleitet hatte, konnte der Konflikt mit der Antiatombe – wegung nicht entscharft werden. Das gelang auch der schwarz-gelben Koalition unter Kohl von 1982 bis 1998 nicht.

Da der Staat in der verfassungskonformen Handhabung des Gewaltmonopols durch ausge – pragt gewalttatige Gruppen im Antiatomkraftkollektiv bis hin zur mordenden RAF in Be- drangnis geraten war, kam es im Fall der Kernkraftwerke Brokdorf und Grohnde zu einem deutlich harteren Durchgriff durch die Polizei als noch in Wyhl. Damit eskalierte der Konflikt um die Atomkraft wie beim Ausbau des Flughafens Rhein-Main, der durch die amerikanische Teilnutzung des Flughafens mit der atomaren Bedrohung verknupft war. Der Staat in seiner Gewaltausubung als “Totalitarer Atomstaat“ empfunden, fuhrte beim Verhalten der Demonst – ranten zum “Ruckfall in die Steinzeit“. Ein Burgerkrieg mehr atomar als okologisch bedingt stand kurz bevor. Die Angst vor dem Atomtod und der atomaren Aufrustung trieb immer neue Sympathisanten, insbesondere auch aus dem Umfeld der Evangelischen Kirche, dem Anti – atomkaftkollektiv aller Schattierungen zu. Da die damals etablierten Parteien fur die exis – tenzbedrohend empfundenen Belange keine Alternative fanden, kam es zur Grundung der Grunen, deren Entstehung wesentlich aus der atomaren Angstsituation erfolgte. Nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl kam es dann bei den Demonstrationen gegen den Bau der Wie- deraufarbeitungsanlage in Wackersdorf und auch in Gorleben zur offenen Gewalt. Durch die Proteste und deren nicht erreichte Befriedung durch fehlende Aufklarung im Rahmen der demokratischen Moglichkeiten von Seiten der Politik kam Ende der 80er Jahre der Ausbau der Kernenergie in Deutschland zum Stillstand. Die schwindende Akzeptanz der Atomkraft in Deutschland fuhrte zur Neuausrichtung hin zu Erneuerbaren Energien. 1983 wurde so die erste Graft windanlage GROWIAN mit 3000 kW Nennleistung (Kaiser-Wilhelm-Koog) in Betrieb genommen und 1987 wieder demontiert, da der gesamte Probebetrieb ein einziger Misserfolg war. Erst ein Vierteljahrhundert spater war es gelungen Windrader in dieser Leis – tungsklasse zu realisieren. Ebenfalls 1983 wurde die erste Photovoltaikanlage (Pellworm) errichtet. Eine nukleare Weiterentwicklung hin zu inharent sicheren Kernreaktoren wurde uber mehr als zwei Jahrzehnte verhindert.

In der Zeit der schwarz-gelben Koalition von 1982-1998 unter Kohl entstand das Europa ohne Grenzen (Schengen-Abkommen), es wurde das Stromeinspeisegesetz als Vorlaufer des Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) eingefuhrt, die Verwendung von FCKW (Schwund der das Leben schutzenden Ozonschicht) verboten und die Vorarbeiten zur Etablierung des Euro geleistet. Die von Brandt (SPD) begonnene und von Schmidt (SPD) weitergefuhrte Ostpolitik der Entspannung wurde von Kohl nach dem Fall der Mauer in Berlin durch internationale Verhandlungen mit den Alliierten zum Erreichen der Zustimmung der Sowjetunion zur Wie – dervereinigung und der gesamtdeutschen NATO-Mitgliedschaft erreicht. All diese Erfolge fanden ihr Ende in den Schwierigkeiten des Aufbaus Ost. Der Ablauf der Auflosung des ostdeutschen Industriekomplexes durch die Treuhand in Form eines Beutezugs Ost und die damit verbundene Rekordarbeitslosigkeit anstelle der von Kohl versprochenen „Bluhenden

Die Reaktion der Politik auf die Antiatomkraftbewegung Die Reaktion der Politik auf die Antiatomkraftbewegung

Landschaften“ einschlieBlich der Parteispendenaffare fuhrten letztlich zum Ende der Ara Kohl. Die schwarz-gelbe Bundesregierung mit dem am langsten amtierenden Kanzler der Bundesrepublik uberhaupt wurde trotz des Erfolgs bei der Wiedervereinigung komplett ab – gewahlt und durch die erste rot-grune Koalition mit dem Kanzler Gerhard Schroder ersetzt.

Wahrend sich die RAF nach der erreichten Wiedervereinigung aufloste, die Friedens – oder Antikriegsbewegung ihre Ziele mit dem Ende des Kalten Kriegs (Neutronenwaffe, Nato – Doppel-Beschluss, Bild 2.1) durch Auflosung der UdSSR erreicht hatte, wurde die Antiatom – kraftbewegung mit Beginn des 21. Jahrhunderts gesellschaftspolitisch dominierend. Insbe – sondere durch die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl (1986) mit radioaktivem Niederschlag auch in Deutschland, der mit zum Wahlsieg der ersten rot-grunen Koalition unter Schroder und zur Novellierung des Atomgesetzes (2002) fuhrte, wurde der Forderung der Kernener- giegegner nach einem Verbot fur den Neubau von Kernkraftwerken auf deutschem Boden und einer Befristung der Laufzeiten politisch entsprochen. Ziel der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen (Atomkonsens) war nicht die Forderung der Kernenergie, sondern deren geordnete Beendigung.

Mit der Novellierung des Atomgesetzes kam es zu einer Beruhigung der Antiatomkraftbewe – gung. Das schon 1991 unter Kohl eingefuhrte Stromeinspeisegesetz wurde 2000 zum Erneu- erbare Energien Gesetz (EEG) ausgebaut. Fur die rot-grune Regierung ruckten nun die mit der Einfuhrung des Euro entstandenen Probleme in den Vordergrund. Auch kam es 1999 mit Hilfe der Grunen zu den ersten militarischen Einsatzen von deutschen Soldaten (Kosovo) nach dem 2. Weltkrieg. Das mit der Wiedervereinigung entstandene Deutschland verlor den vorwiegend sozial-okonomisch gepragten Charakter der alten BRD. Die Agenda 2010 und deren Umsetzung in der Hartz IV-Reform, die zu immer tieferen Einschnitten in den schon seit dem Bruch der sozialliberalen Koalition reduzierten Sozialstaat fuhrte und die Armut breiter Gesellschaftsschichten sichtbar werden liefi, fuhrte schliefilich zur Abwahl der rot – grunen Regierung.

Der ersten rot-grunen Koalition folgte die grofie Koalition unter der Kanzlerin Merkel, die auch ganz personlich an der Agenda 2010 festhielt, da die Finanz – und Wirtschaftkrisen und alle bis heute im Rahmen der Globalisierung und von den ungeregelten Bank – und Finanzsys – temen hervorgerufenen weiteren Krisen immer gravierendere okonomische Probleme auf – turmten. Auch am im Jahr 2000 von der rot-grunen Regierung eingefuhrten Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) hat die Kanzlerin festgehalten. Nachdem der Umwelt – und Natur – schutz nach langem Ringen endlich allgemeine Anerkennung gefunden hat, kommt es heute im Rahmen des EEG zum Missbrauch der Okologischen Idee. Durch das Aufspringen von Kanzlerin Merkel (Heiligendamm, 2007) auf den Klimazug im Hollywood-Inszenierungs – Format des US-Amerikaners Al Gore (Friedensnobelpreis fur Al Gore und UN-Klimarat, Oscar fur "Eine unbequeme Wahrheit") und die populistisch ohne nachvollziehbare Beweise prophezeite Klimakatastrophe gerat Deutschland in den Griff von Okospekulanten. Damit wird die Versorgungssicherheit am Industriestandort Deutschland insgesamt gefahrdet und die bereits verarmten Gesellschaftsschichten werden noch armer gemacht. Einer solchen aus rein populistischen Grunden und allein zur Machterhaltung getriebenen Politik muss Einhalt geboten werden. Da es bei der Energiefrage wesentlich um physikalische Fragestellungen geht, die eindeutig beantwortet werden konnen, bedarf es keines neuen Ablasshandels, der aus den Angsten der Menschen Profit schlagt. Tatsachlich okologisch denkende und handeln – de Menschen durfen dies nicht zulassen. Offensichtlich mussen sich zu diesem Zweck aber erst wieder Burgerbewegungen wie im Fall Stuttgart 21 oder bei der Einfuhrung des E10- Treibstoffs bilden, damit eine uberdimensionierte die Natur schadigende Pseudookotechnik verhindert werden kann. Nur mit einer gesamtheitlich akzeptierbaren Losung der Energiefra – ge ohne ideologische und populistische Verzerrungen sowohl okonomischer als auch okolo – gischer Natur ist ein gangbarer Weg in die Zukunft zu finden.

Am Ende der Legislaturperiode der groBen Koalition 2009 unter Fuhrung von Angela Merkel befand sich Deutschland in der bisher tiefsten und noch lange nicht uberwundenen Wirt – schaftskrise, die durch die aktuelle Weltwirtschaftskrise (Zusammenbruch der GroBbank Lehman Brothers in den USA und deren weltweite okonomische Folgen) ausgelost wurde. Diese war das desastrose Ergebnis des spekulativ aufgeblahten Wirtschaftswachstums in den USA sowie Resultat einer weltweiten kreditfinanzierten Massenspekulation. Da die FDP bei der danach anstehenden Bundestagswahl mit 14,6 Prozent das beste Ergebnis aller Zeiten verbuchte, blieb Kanzlerin Merkel trotz Verlusten bei der CDU/CSU mit der jetzt schwarz- gelben Koalition weiterhin an der Macht. Der einzigartige Erfolg der neoliberalen FDP ist im wahltaktischen Wahlerverhalten zu sehen. Angesichts der Wirtschaftskrise entschieden sich die Wahler einerseits fur die in Wirtschaftsfragen kompetenter gehaltene schwarz-gelbe Wunschkoalition, und andererseits bekam die FDP so viele Leihstimmen, um innerhalb dieser Koalition auch die Subventionen fur die Erneuerbaren Energien in okonomisch ertragbaren Grenzen halten zu konnen.

Wie im Wahlkampf angekundigt und im Koalitionsvertrag beschlossen, setzte die neue schwarz-gelbe Regierung unter Merkel im Herbst 2010 die Verlangerung der Laufzeiten fur die deutschen Atomkraftwerke durch. Dabei sollte die Kernenergie als Bruckentechnologie dienen, um dann am Ende der Laufzeiten verlasslich auf die Erneuerbaren Energien (EE) umsteigen zu konnen. Das Neubauverbot fur Atomkraftwerke bleibt bestehen. Die Entwick – lung hin zu neuen inharent sicheren Atomreaktoren und auch die deutsche Teilhabe an der internationalen nuklearen Weiterentwicklung werden nicht zugelassen.

Mit dem weiteren Einsatz der Kernenergie zur CO2-armen Stromerzeugung sollten einerseits die Klimaziele erreichbar werden, andererseits durch Einfuhrung der Brennelementesteuer im Zusammenhang mit der Laufzeitverlangerung der Aufbau der Erneuerbaren Energien subven – tioniert und damit auch das Aufleben von Demonstrationen gegen die Kernenergie in ertrag­baren Grenzen gehalten werden.

Durch die Ereignisse Stuttgart 21 und Fukushima veranderte sich Deutschland und vor allem die Politik. In Stuttgart wurde vollkommen losgelost von der Atomenergie friedlich gegen den Umbau des Stuttgarter Bahnhofs protestiert. Die Burger offenbarten damit die Unzufrie – denheit mit der gangigen Politik (Demokratie parteipolitischer Pragung) ahnlich wie dies bei den Protesten in den arabischen Landern der Fall war. Durch den Medienerfolg dieser Protes­te angezogen, versuchten die Grunen im Rahmen des laufenden Landtagswahlkampfs diese Burgeransammlungen auch fur den Widerstand gegen das nahe bei Stuttgart liegende Kern – kraftwerk in Neckarwestheim zu nutzen. Nach einem unverantwortlich gewalttatigen Einsatz der Polizei gegen die in der Tat friedlich demonstrierenden Burger kam die Schreckensnach – richt aus Japan. Wie in der veranschaulichten Chaosvorstellung der Schlag eines Schmetter- lingflugels etwa am Amazonas einen Orkan in Europa auslost, hat der nukleare Unfall in Fukushima in Deutschland einen singularen Resonanzort gefunden.

Insbesondere die Reaktionen der Politik waren geradezu hysterisch, obwohl in Deutschland selbst nichts passiert ist. Die sich im Betrieb befindlichen deutschen Kernkraftwerke sind von den Ereignissen in Japan vollkommen unberuhrt und genauso sicher oder unsicher wie zuvor. Getrieben durch das mit dem Schmetterlingseffekt entstandene Wahlergebnis in Baden – Wurttemberg, das Deutschland den ersten Grunen Ministerprasident bescherte, initiierte da – nach sowohl die Bundesregierung als auch in ganz besonderem MaB die CSU Bayerns als Nachbarland von Baden-Wurttemberg eine total irrationale Kehrtwende. Die fur Deutschland unabdingbare Energieversorgung wird dabei zum politischen Spielball, das Uberleben des Industriestandorts Deutschland im globalen Wettbewerb dem Prinzip Hoffnung preisgegeben.

Diese Situation zeigt, dass die bestehende politische Ordnung in Deutschland nicht mehr in der Lage ist, ein verlasslich langerfristiges Energiekonzept auf den Weg zu bringen, das auch von den Burgern mehrheitlich getragen werden kann. Wie auch „Stuttgart 21“ exemplarisch zeigt, bedarf es einer neuen Form der Demokratie als Ganzes, als Idee und Wirklichkeit.

In einer Zeit des Umbruchs ist es auch sinnvoll auf den Rat altgedienter Politiker wie Helmut Schmidt und Helmut Kohl zu horen, die im Lebensruckblick uber eine lange Zeitspanne die gesellschaftliche Situation gesamtheitlich besser beurteilen konnen als die vom Alltag gehetz – ten Akteure, deren zeitlicher Horizont zu verkurzt ist, deren Uberlebenskampf um die eigene personliche Existenz den erforderlichen Weitblick zum Finden eines gangbaren neuen Wegs versperrt. Die beiden Altbundeskanzler warnen sowohl vor einem uberhasteten Ausstieg aus der Kernenergie als auch vor einem ebenso ubereilten Einstieg in Erneuerbare Energien.

Einerseits wird durch den Ausstieg aus der Kernenergie das weltweite Ansehen und Vertrauen in Deutschland als Hochtechnologieland, das durch seine Ingenieure und Naturwissenschaft – ler gepragt ist, in Frage gestellt. Andererseits wird der deutsche Einfluss bei der Entwicklung einer inharent sicheren Kerntechnik ohne das Restrisiko der gegenwartigen Art behindert oder gar verhindert. Auberdem besteht bei einem uberhasteten Einstieg im groben Stil allein in die Erneuerbaren Energietechniken, die weder technisch ausgereift noch wettbewerbsfahig sind und nur aufgrund von Subventionen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in Deutschland realisiert werden, die Gefahr des okonomischen Scheiterns und der deutschen Blamage.

Einen deutschen Weg wird es isoliert von unseren Nachbarn und in der Welt dauerhaft nicht geben. Es ist das Recht und auch die Pflicht unserer Nachbarn mabigend auf die Deutschen einzuwirken. Es kann nicht sein, dass aus den Anfangsschwierigkeiten der noch jungen Atomtechnik heraus, die es durch Weiterentwicklung zu beseitigen gilt, jetzt eine Hysterie fur Erneuerbare Energien entsteht, deren zentralistische Nutzung gepaart mit der unabdingbaren Speicherfahigkeit prinzipiell nicht mit der Naturschutzidee vereinbar ist.

Die Angstzustande der Deutschen sind mit den Empfindungen und Vorstellungen unserer Nachbarn zu relativieren. Es kann nicht schon wieder einen typisch urdeutscher Alleingang geben, der unsere Nachbarn entsetzt und an Heinrich Heine erinnert, der dieses Verhalten mit dem Satz

“Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“ auf den Punkt gebracht hat.

Die Isolierung Deutschlands in der Energiefrage aus rein populistischen Grunden, die techno- logisch und okologisch nicht nachvollziehbar sind, ist kontraproduktiv fur die Entwicklung hin zu einem auch energiewirtschaftlich geeinten Europa. Wenn Europa eine Zukunft haben soll, muss auch die Losung der Energiefrage vom Gesamtkollektiv Europa und nicht von einem sich isoliert verhaltenden Deutschland ubernommen werden.

Mit dem von der deutschen Politik durchgesetzten Neubauverbot wurde den Naturwissen – schaftlern und Ingenieuren die Moglichkeit zur Schaffung einer von der Bevolkerung akzep – tierbaren inharent sicheren Kerntechnik genommen. Die hintergrundige Strategie war die

Erhaltung der Angst vor einem Kernschmelzunfall, um das politische Ziel des endgultigen Abschieds von der friedlichen Nutzung der Kerntechnik im Sinne der Antiatomkraftbewe­gung durchsetzen zu konnen. Als Parabel zu dieser Strategie kann man sich den folgenden Vorgang vorstellen:

Ein Ingenieur baut eine Brucke. Die Brucke sturzt ein. Er soil eine neue Brucke bauen, be- kommt jedoch nicht die Moglichkeit, die Konstruktion zu verbessern. Die neue Brucke sturzt wieder ein. Infolgedessen wird beschlossen und gesellschaftlich durchgesetzt, dass kunftig nie wieder Brucken gebaut werden.

Da die Entwicklung von inharent sicheren Reaktoren (Abschn. 4.2, 4.3, 5.3, 9.3.2) abgebro – chen wurde (Abschn. 4.2, 4.3), konzentrierte sich die Weiterentwicklung ausschliefilich auf Leichtwasserreaktoren. Beispielsweise wurde der EPR (Europaischer Druckwasserrektor) als deutsch/franzosisches Produkt (Abschn. 5.1) fur Neubauprojekte in Finnland, Frankreich und China angeboten. Der EPR ist ein fortschrittlicher Druckwasserreaktor mit aktiven Kuhlsys – temen. Um eine moglich auftretende Kernschmelze so beherrschen zu konnen, dass u. a. eine Wechselwirkung der Schmelze mit dem Betonfundament vermieden wird, wurde erstmals ein erweitertes Reaktordesign (Abschn. 5.1) zur Anwendung gebracht. Mit einem gasdichten Containment und einem Core-Catcher (Bild 2.4) zum Auffangen der Kernschmelze soll eine unkontrollierte Freisetzung von Radioaktivitat in die Umgebung verhindert werden. Das Containment wird im Kernschmelzfall somit zum Sarkophag.

Updated: October 27, 2015 — 12:09 pm