Urn ein menschenwiirdiges Leben fiihren zu konnen, bedarf es einer gewissen Zivilisation. Verbunden damit ist ein Bedarf an Energie. In der Handhabung dieses unerlafilichen Energieeinsatzes zeigt sich die Energiekultur der jeweiligen Zivilisation. Je weniger zerstorend der Energieeinsatz auf die Symbiose Mensch-Natur wirkt, desto hoher diese Kultur. Zu den rein physikalisch-technischen Fragestellungen der klassi – schen Energietechnik kommen moralisch-okologische Aspekte hinzu, die letztlich Mafistab sind fur die von einer Zivilisation jeweils erlangte Stufe der Energiekultur. Die alternative Energietechnik ist also eine Erweiterung der klassischen Energietechnik, die sich nur mit den Maschinen und den in ihnen ablaufenden Prozessen beschaftigt. Durch die Erweiterung wird das Leben schlechthin mit ins Kalkiil gezogen. Ohne diese so erweiterte Denkweise wird der technisch klassisch ausgebildete Ingenieur stets umweltzerstorend wirken. Er arbeitet auf der niedrigsten Stufe der Energiekultur, da Ruckwirkungen (Bild 1) sein Handeln definitionsgemafi nicht beeinflussen.
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Bild 1 Gesamtsystem mit Ruckwirkungen
J. Unger, A. Hurtado, Alternative EnergietechnikG, DOI 10.1007/978-3-8348-9894-4_1, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Wenn allein im klassischen Wirtschaftssystem (Teilsystem ohne Umwelt) gedacht wird, werden abstrakteste, geradezu unnaturliche Entscheidungs – kriterien (Geld, Gewinn) befolgt. Da diese Kriterien zwangslaufig nicht die richtigen fiir das Gesamtsystem sein konnen, mufi ein solches Handeln letztlich auch auf die Zivilisation selbst zerstorend wirken, wenn die Riickwirkungen schliefilich hinreichend grofi werden. Selbstverstandlich kann man sich durch vollstandige Isolation von der Umwelt auch ein ganz ruckwirkungsfreies Wirtschaftssystem vorstellen. Diese Vorstellung ist jedoch eine gefahrliche Utopie. Hierbei wiirde das Uberleben – bei stets ansteigendem Energieverbrauch – allein abhangig gemacht vom techni- schen Fortschritt. Dies ist nicht das Ziel der ’’Alternativen Energie- technik". Die hier verfolgte Alternative ist die Akzeptanz der Natur, ein Leben im Gesamtsystem. Das totale Abhangigkeitsverhaltnis mit dem technischen Fortschritt wird nicht eingegangen. Es wird auf die Komplexi – tat des Gesamtsystems Mensch-Natur gesetzt, das realistischere Chancen zum Uberleben bietet.
Dieses Buch ist im Rahmen der vierstiindigen Vorlesung ’’Alternative Energie – technik” herangewachsen, die ich an der Technischen Hochschule Darmstadt seit 1990 jeweils im Sommer semes ter gehalten habe. Mittlerweile ist aus der Hochschule eine Universitat geworden. Die Vorlesung an der Technischen Universitat Darmstadt findet immer noch jedes Sommersemester statt, jetzt aber interdiszipliniert fur alle Fachbereiche. AuSerdem dient das Buch als Grundlage fur den energetischen Teil eines Masterstudiengangs an der Hochschule Darmstadt im Bereich Energiewirtschaft und auch an der Technischen Universitat Dresden wird es zukiinftig in Zusammenarbeit mit meinem Kollegen Herm Professor Antonio Hurtado bei der Bearbeitung energiewirt – schaftlicher Fragestellungen Anwendung finden. Aus der Zusammenarbeit mit Professor Hurtado, der bei der hier vorliegenden 4. Auflage erstmals als Autor mitgewirkt hat, wird es zukunftig noch besser moglich sein, die sich immer schneller entwickelnde und fachlich verbreitemde Energietechnik angemessen aktualisieren und beurteilen zu konnen. Im Hinblick auf die nach wie vor ungehemmt anwachsende Machtigkeit der menschlichen Population steht dabei die damit verknupfte Versorgung mit Strom und Warme ebenso wie mit Treib – und Rohstoffen sowie Wasser im Vordergrund, die es moglichst umwelt – gerecht und ohne dirigistische Zwangsmafinahmen oder gar kriegerische Aus – einandersetzungen zu bereitstellen gilt.
Das vorliegende Buch soli keine moglichst vollstandige Auflistung aller mach – baren oder gar exotischen Energietechrdken sein. Es geht hier um die Erwei – terung der klassischen Energietechnik, die sich allein mit den Maschinen und den in ihnen ablaufenden Prozessen beschaftigt. Durch die Erweiterung soil das Leben ins Kalkul mit eingebracht, die Energiekultur unserer Gesellschaft verbessert, ein moglicher Weg zu einer okologisch ausgerichteten Volkswirt – schaft aufgezeigt werden. Dabei stehen thematisch drei Schwerpunkte im Vordergrund. Diese sind das Erkennen und Beriicksichtigen von Ruckwir – kungen infolge des volkswirtschaftlichen Prozesses (Produktion und Konsum), das Problem der prinzipiellen "Nicht-Quantifizierbarkeit" umweltrelevanter Entscheidungskriterien und Auswege aus diesem Dilemma sowie die Wiederherstellung des Technikkonsenses, ohne den eine Industriezivilisation dauerhaft nicht existieren kann. Zur Beurteilung dieser Gesamtproblematik werden zunachst sowohl technische als auch umweltrelevante Kriterien erar – beitet. Da die umweltrelevanten Kriterien wesentlich mit dem Zeitverhalten der natiirlichen Umwelt verkniipft sind, in die Techniksysteme eingebettet sind, wird dem Systernverhalten besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Mit den hieraus resultierenden Kenntnissen zur Selbstorganisation wird schliefilich die Briicke zum gesellschaftspolitischen System geschlagen. Ebenso, wie eine Schneeflocke aufgrund der Naturgesetze in der richtigen Umgebung immer wieder selbstorganisierend zur Schneeflocke wird, verhal ten sich gesellschafts- politische Systeme entsprechend der installierten Rahmenbedingungen und
nicht etwa wie einzelne politische Akteure. Diese Eigenschaft der Selbstor – ganisation, die letztlich das Riickgrat jeder Demokratie bildet, gilt es unter Hirtzunahme okologischer Rahmenbedingungen zu nutzen, um vom derzeit darwinistischen Wirtschaften hin zu einem humanen voikswirtschaftlichen Prozess gelangen zu konneru Der Mensch als soziales Wesen каші zivili- satorisch bleibende Leistungen nur in der Gemeinschaft erbringem Dazu muss ein Grundkonsens vorhanden sein. Deshalb ist ein Abbau von FeindbiJdern und ideologischen Verblendungen notwendig, der nur durch vertrauensbildende Prozesse erreicht werden kann. All diese Aspekte, bis hin zur Internalisierung umweltrelevanter Kosten, die mit Hiife des Verursacherprinzips durchgesetzt selbstorganisierend zur Vollausschopfung des Minimalprinzips und zugleich zu minimalen Kosten fiihren, werden mit einfachen mathematischen Modellen an- schaulich studiert, so dass elementarste Kenntnisse der Mathematik und der jeweiligen Fachdisziplinen zum Verstandnis geniigen, die eigentlich AUgemein- wissen sein sollten. Hierauf wurde besonders Wert gelegt, denn okologisch sinnvolle Entwicklungen sind nur zu erwarten, wenn im interdisziplinaren Prozess alle Beteiligten selbst die Entscheidung okologisch mittragen konnen. Diese Dinge sind so wichtig, dass sie nicht delegierbar sind. Dieses Ziel des eigenverantwortlichen Beurteilens und Handelns wird auch mit der facetten – reichen Aufgabensammlung am Ende des Buches verfolgt die den Leser zur aktiven Mitarbeit anregen soil. Um den Zeitaufwand fur den Leser so gering wie moglich zu halten, sind zu den einzelnen Aufgaben die jeweiligen Losungs – wege angegeben.
Nachdem nach langem Ringen der Umwelt – und Naturschutz allgemeine An – erkennung gefunden hat, kommt es heute zum politischen Missbrauch der Okologischen-Idee. Der prinzipiell zu begriiGende Aufbau der Emeuerbaren- Energien mit dem Ziel der Nachhaltigkeit wird durch eine maGlos ubertrie – bene Installation von noch nicht ausgereifter oder falsch platzierter Technik zur Farce gemacht. Die Sozialvertraglichkeit und Versorgungssicherheit steht auf dem Spiel. Verstarkt wird dies alles durch die Biomassen-Euphorie, die wegen nicht verfiigbarer Anbauflachen in Deutschland wcltweit zu Umweltzer – storungen in groGtem AusmaG fuhrt. Die Ziele von Nachhaltigkeit und Klima – neutralitat werden in keinem Fall erreicht. Eine regenerativ versorgte Welt setzt Gesellschaftsformen und Populationen voraus, die nichts mit unserer indu- striell gepragten Gesellschaft zu tun haben. Dagegen wird die Kerntechnik mit dem geringsten Landschaftsverbrauch verteufelt, die im Hinblick auf die zu erwartende grofie industrielle Welt-Population allein in der Lage ist die Natur als klimapragendes Element zu erhaltem Das vorliegende Buch wurde speziell so erweitert um diese Missstande detailliert aufzeigen und den Auswiichsen moglichst schnell entgegenwirken zu konnen.
Fur die ErsteHung des Manuskripts danken wir ganz herzlich Frau Jutta Schmitt.
Darmstadt Dezember2010 Jochem Unger
Dresden, Dezember2010 Antonio Hurtado